Medizinisches Cannabis:
Es braucht endlich Klarheit und Rechtssicherheit für
Patient:innen, Ärzt:innen, Apotheker:innen und die Wirtschaft

Der am 16. August 2023 vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zum Cannabisgesetz (CanG) beinhaltet neben der Regulierung der Abgabe von Konsumcannabis an Erwachsene auch wichtige Änderungen für den Bereich des medizinischen Cannabis, welche im neuen Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) zusammengefasst sind.

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Der grundlegende Paradigmenwechsel, Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu nehmen und den Konsum mit Einschränkungen zu genehmigen, ist zu begrüßen. Hier findet endlich eine Korrektur der nicht gerechtfertigten Kriminalisierung von Konsument:innen statt und es werden neue Spielräume geschaffen, um Patient:innen mit hochwertigen Produkten zu versorgen. Darüber hinaus kann die Regulierung von nicht-medizinischem Cannabis die Qualität und Sicherheit der Produkte sicherstellen sowie einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Schwarzmarktes leisten.1

Gleichzeitig bleibt der Entwurf des MedCanG deutlich hinter den Erwartungen zurück, da viele bestehende Probleme und Hürden nicht hinreichend adressiert werden. Der Gesetzgeber hatte 2017 bei der Formulierung des “Cannabis als Medizin”-Gesetzes fraktionsübergreifend seinen Willen deutlich gemacht, den Zugang für Patient:innen zu Cannabis als Medizin zu ermöglichen und eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen zum Regelfall zu machen.2

Jedoch bestehen noch heute – und auch mit dem MedCanG in der aktuellen Version – immense Hürden, von einer immer noch erheblichen Ablehnungsquote von Kostenübernahmen bis zur uneinheitlichen Umsetzung von Regelungen in einzelnen Bundesländern. Darüber hinaus steht das vorgesehene Konsumverbot für die Inhalation von Cannabis als Arzneimittel der Entstigmatisierung von Patient:innen entgegen. Der BPC fordert den Gesetzgeber auf, sicherzustellen, dass Patient:innen nicht in der Einnahme ihrer Arzneimittel eingeschränkt werden. Es muss zudem sichergestellt werden, dass Cannabispatient:innen langfristig am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, wenn sie aufgrund ihrer Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind.

Der Gesetzgeber muss deshalb die Chance des MedCanG nutzen und endlich bundeseinheitliche Regeln schaffen, die Patient:innen einen rechtssicheren Zugang zu Therapien mit Cannabis ermöglicht. Die bisher vorliegende Version des Gesetzentwurfs übernimmt in weiten Teilen die Bestimmungen aus bestehenden Gesetzen (u. a. dem Betäubungsmittelgesetz) und löst damit die bestehenden Probleme weitestgehend nicht.

Der BPC fordert den Bundestag auf, folgende Aspekte in die parlamentarischen Beratungen zum CanG aufzunehmen, Änderungen im MedCanG durchzusetzen und damit seinen 2017 erklärten Willen, endlich Realität werden zu lassen:

1. Genehmigungsvorbehalt abschaffen

Die gegenwärtige Umsetzung des Genehmigungsvorbehaltes mit hohen Ablehnungsquoten von ca. 30 bis 40 Prozent der gestellten Anträge3 führt dazu, dass viele Patient:innen ihre Cannabistherapie selbst finanzieren müssen. Aufgrund des finanziellen Drucks besteht die Gefahr, dass sich Patient:innen mit Cannabis aus illegalen Quellen oder mit nicht-medizinischem Cannabis selbst versorgen und therapieren müssen. Der BPC begrüßt die politischen Bestrebungen der vergangenen Monate, den Zugang der Patient:innen zu medizinischem Cannabis zu beschleunigen und zu erleichtern. Die Verkürzung der Genehmigungsfrist der Krankenkassen im Rahmen des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) sowie die Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) waren hier ein erster wichtiger Schritt.4

Das MedCanG muss genutzt werden, um den Genehmigungsvorbehalt vollständig abzuschaffen, beispielsweise in § 3 MedCanG. Gleichzeitig sollte ein angemessener Regressschutz für die Ärzteschaft gewährleistet werden, um das Risiko von finanziellen Konsequenzen bei der Verordnung von medizinischem Cannabis zu verringern.

2. Gleichbehandlung von Fertigarzneimitteln und Rezepturarzneimitteln wiederherstellen

Der am 30. Juni 2023 in Kraft getretene Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) “Cannabisarzneimitttel” konkretisiert in § 44 Abs. 2 die Verordnungsvoraussetzung für verschiedene Darreichungsformen von Medizinalcannabis. Das in der aktualisierten AM-RL implizierte Nachrangverhältnis kann nicht ausreichend begründet werden. In der Regel sind Cannabisextrakte- und -blüten schneller wirksam, besser verträglich (weniger Nebenwirkungen), und bereits fest als Therapieoption in der deutschen Verordnungspraxis etabliert.5 Auch mit Qualitätsaspekten kann das Nachrangverhältnis nicht ausreichend begründet werden, denn der Gesetzeswortlaut sieht eine zulässige Versorgung ohnehin nur mit Blüten und Extrakten in standardisierter Qualität vor.

Unter Berücksichtigung der Aspekte Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität fordert der BPC: Es sollte keine vorrangige Verordnung von Fertigarzneimitteln im Off-Label-Use gegenüber Cannabisblüten und -extrakten geben. Die Entscheidung über die geeignete Form des medizinischen Cannabis sollte auf der Grundlage der individuellen Bedürfnisse der Patient:innen vom behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin entsprechend der Therapiehoheit getroffen werden.

Dementsprechend sollte § 3 MedCanG in Einklang mit der Therapiehoheit und Therapieverantwortung der Ärzteschaft gebracht werden und die Gleichrangigkeit von Cannabisarzneimitteln, wie in § 31 SGB V festgehalten, wiederhergestellt werden.

3. Bundeseinheitliche Regelungen zur Einstufung von Cannabis als Arzneimittel schaffen

Die bisherige Verwaltungspraxis im Bereich medizinischer Cannabisprodukte zeigt eine uneinheitliche Vorgehensweise der verschiedenen Aufsichtsbehörden in den Bundesländern, was zu erheblicher Unsicherheit bei Apotheker:innen und Unternehmen führt, die medizinisches Cannabis herstellen und vertreiben. Auch die Anforderungen der Behörden an die (ausländischen) Hersteller unterscheiden sich teilweise je nach Bundesland. Eine angemessene Sicherheit und Einheitlichkeit wird dadurch sichergestellt, dass die geltenden Vorschriften und Richtlinien für den Anbau und die Ernte von Cannabis gemäß den Good Agricultural and Collecting Practices (GACP) sowie für die Verarbeitung und Herstellung von Cannabisprodukten gemäß den Good Manufacturing Practices (GMP) bundesweit einheitlich umgesetzt werden. Dies betrifft auch die einheitliche Auslegung der Kriterien zur Festlegung der GMP-Anforderungen und die spezifischen Anforderungen an die erwartete Produktqualität, insbesondere hinsichtlich der mikrobiellen Belastung von Cannabis-Zubereitungen. Die Kennzahlen müssen mindestens den Anforderungen der Kategorie B gemäß der Ph. Eur 5.1.8 entsprechen.6

Aus diesem Grund fordert der BPC eine bundesweit einheitliche Klassifizierung von medizinischen Cannabisprodukten, entweder als Fertigarzneimittel oder als pflanzliche Wirkstoffe zur weiteren Verarbeitung in Apotheken für die Herstellung von Rezeptur- oder Defekturarzneimitteln gemäß § 12 MedCanG (Genehmigung zur Ein- und Ausfuhr). Es wird eine einheitliche Regelung für medizinisches Cannabis von Anbau (GACP) über die Weiterverarbeitung (GMP) bis zur Abgabe in den Apotheken (Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO))7 gefordert. Es existieren bereits bestehende und gültige pharmazeutische Regelwerke für pharmazeutische Produkte auf Basis von pflanzlichen Wirkstoffen, wie das Deutsche Arzneibuch (DAB) und das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur.), die bundesweit einheitlich umgesetzt und überwacht werden müssen.

4. Lizenzverfahren für den Anbau in Deutschland ermöglichen

Gemäß § 17 MedCanG unterliegt der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken im Geltungsbereich dieses Gesetzes der Kontrolle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der Kauf von Cannabis zu medizinischen Zwecken durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erfolgt bislang nach den Vorschriften des Vergaberechts. Der BPC plädiert dafür, für den Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland das System von Vergabeverfahren auf Erlaubniserteilung unter Auflagen umzustellen, entsprechend den Erlaubnissen für Importe. Dadurch wird der Anbau in Deutschland gestärkt und es werden vergleichbare Wettbewerbsbedingungen mit importiertem Cannabis geschaffen. § 17 Abs. 2 Satz 3 ff. MedCanG sollte daher gestrichen werden und stattdessen ergänzt werden durch “Das BfArM erteilt auf Antrag Genehmigungen unter Auflage zur Produktion von Medizinalcannabis in Deutschland. Anforderungen und Produktionsmengen werden durch Verordnung geregelt.”

5. Diskriminierung von Patient:innen durch Konsumverbote (Mindestabstände) zurücknehmen

Gemessen am aktuell vorliegenden Gesetzesentwurf wird Patient:innen die ordnungsgemäße Einnahme ihres Medikaments gleich mehrfach verwehrt oder zumindest erheblich erschwert. Zum einen gilt gemäß § 24 MedCanG das Konsumverbot gem. § 5 Abs. 2 Konsumcannabisgesetz (KCanG) auch für Personen, die Cannabis zu medizinischen Zwecken inhalieren. Des Weiteren werden Cannabis-Patient:innen auch bei den Änderungen des Bundesnichtraucherschutzgesetzes (Artikel 8 CanG) und der Arbeitsstättenverordnung (Artikel 10 CanG) diskriminiert. Im Zuge des MedCanG wird Medizinalcannabis nunmehr nicht länger als Betäubungsmittel, sondern vielmehr als reguläres verschreibungspflichtiges Medikament eingestuft. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt dieser Änderung jedoch nur unzureichend Rechnung. Gerade in Städten sorgen die Konsumeinschränkungen dafür, dass Patient:innen in den privaten Raum abgeschoben werden. Dies stellt eine Diskriminierung von schwer kranken Patient:innen dar, die auf ihre Medikation angewiesen sind.

Daher lehnt der BPC das Konsumverbot von medizinischem Cannabis für Patient:innen entschieden ab und fordert die ersatzlose Streichung des § 24 MedCanG.

6. Klare Rechtssicherheit für medizinisches Cannabis schaffen

Der BPC setzt sich dafür ein, dass lediglich in Fällen, in denen der internationale und europäische Außenhandel betroffen ist, Sonderregelungen für Cannabisarzneimittel aufgenommen werden, um dem Erfordernis der nationalen Kontrolle nachzukommen. Ansonsten sollte konsequent die Anwendung des Arzneimittelrechts umgesetzt werden. Das Einziehen einer gesonderten “Cannabis- Rx-Arzneimittel”-Regulierung im Vergleich zur Regulierung als reguläres Rx- Arzneimittel führt zu einer fehlenden Rechtssicherheit und unnötiger bürokratischer Komplexität. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass zahlreiche Inhalte des BtMG zu Medizinalcannabis direkt in das MedCanG übernommen wurden. Wenngleich es sinnvoll ist, Kontinuität in Bezug auf den rechtlichen Rahmen und die bewährte Praxis für medizinisches Cannabis sicherzustellen, sollte das MedCanG im Zuge der geänderten Risikobewertung des Umgangs mit Cannabis dazu genutzt werden, ausreichend bürokratische Erleichterungen direkt mit umzusetzen.

Der BPC begrüßt, dass man in der Neuregelung des MedCanG künftig nicht mehr auf die Sicherungsrichtlinie für Betäubungsmittel zurückgreift. Durch die in § 21 MedCanG enthaltene Befugnis zur Sicherungsanordnung für das BfArM wird jedoch keine Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer geschaffen. Eine Notwendigkeit für diese Anordnungsbefugnis besteht nach Einschätzung des BPC nicht, da die einschlägigen arzneimittelrechtlichen Regelungen sowohl für Hersteller als auch für Händler entsprechende Vorhaben machen und von den zuständigen Landesbehörden im Rahmen von Inspektionen abgenommen werden. Demnach ist die in § 21 MedCanG vorgesehene Regelung überflüssig. Der BPC fordert, diesen Paragraphen ersatzlos zu streichen.

7. Forschungsvorhaben für Cannabistherapien fördern

Die Streichung von Medizinalcannabis aus dem BtMG bildet für eine vereinfachte und verstärkte Forschungsförderung eine wichtige Basis. So können nicht nur die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln durch die Generierung zusätzlicher Evidenz bestätigt und Anwendungsfelder erweitert werden, sondern auch innovative Darreichungs- und Applikationsformen entwickelt werden.

Um dem Ziel des Gesetzes gemäß Begr. zu Art. 2, S. 138 CanG gerecht zu werden und die evidenzbasierte Forschung zu Cannabis als Medizin nachhaltig zu stärken, fordert der BPC die Aufnahme konkreter unterstützender Forschungsmaßnahmen ins MedCanG:

Einrichtung eines staatlichen Forschungsförderungsprogramms für medizinisch-wissenschaftliches Cannabis durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung

Förderung der Forschung in Zusammenarbeit zwischen Staat und privaten Unternehmen (z.B. Public-Private-Partnership zur Einrichtung eines Forschungslehrstuhls für Cannabinoid-Forschung in der Medizin)

Erleichterter Zugang zu Real-World-Daten für die Grundlagen- und Versorgungsforschung (Routinedaten, Studiendaten, Registerdaten) und Anerkennung von Studien aus anderen Ländern

Einrichtung eines nationalen, unabhängigen medizinischen Registers, das Medizinalcannabispatient:innen unabhängig von Indikationsgruppe und bestehender Kostenübernahme anonymisiert einschließt8

Etablierung einer nationalen und staatlich geförderten Forschungsgruppe zur umfassenden Datenerhebung im Bereich Medizinalcannabis in internationaler Kooperation mit bestehenden Fachgesellschaften und Forschungsgruppen9

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1 BPC. 2023. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG). https://bpc-deutschland.de/aktuelles/stellungnahme-zum-entwurf-eines-gesetzes- zum-kontrollierten-umgang-mit-cannabis-und-zur-aenderung-weiterer-vorschriften-cannabisgesetz-cang/
2 Deutscher Bundestag. 2017. Bundestag lässt Cannabis-Arzneimittel für schwerkranke Patienten zu. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw03-de-betaeubungsmittel-487044#:~:text=Patienten%20sollen%20k%C3%BCnftig%20getrocknete%20Cannabis,Wirkstoffen%20Dronabinol%20ode r%20Nabilon%20geschaffen
3 Grotenhermen F, Müller-Vahl KR. Cannabis und Cannabinoide in der Medizin – praktische Hinweise zum therapeutischen Einsatz. Suchtmed 2022; 23 (1): 1-8
4 Bundesverband Pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen. 2023. BPC-Statement zu den Änderungen am Genehmigungsvorbehalt im ALBVVG. https://bpc-deutschland.de/presse/bpc-statement-zu-den-aenderungen-am-genehmigungsvorbehalt-im-albvvg/
5 Abschlussbericht der Begleiterhebung https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Abschlussbericht_Begleiterhebung.html abgerufen am 11.09.2023

6 Qualitätsanforderungen an Cannabisblüten und Qualifizierung von Lieferanten für die Abgabe von Cannabis in Apotheken. Veit, Markus. April 2023. VCA Webinar / Alphatopics. S. 68 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcimb.2022.1051272/full
7 Qualitätsanforderungen an Cannabisblüten und Qualifizierung von Lieferanten für die Abgabe von Cannabis in Apotheken. Veit, Markus. April 2023. VCA Webinar / Alphatopics. S. 18, 22, 31 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcimb.2022.1051272/full
8 Verbändeübergreifendes Papier. Handlungsempfehlungen für eine Novellierung des Cannabis-als-Medizin-Gesetzes vom 24.05.2023. https://cannabiswirtschaft.de/wp-content/uploads/2023/05/Verbaendepapier-Handlungsempfehlungen- Medizinalcannabis-17.05.2023.pdf
9 Verbändeübergreifendes Papier. Handlungsempfehlungen für eine Novellierung des Cannabis-als-Medizin-Gesetzes vom 24.05.2023. https://cannabiswirtschaft.de/wp-content/uploads/2023/05/Verbaendepapier-Handlungsempfehlungen- Medizinalcannabis-17.05.2023.pdf