Am 20. Oktober 2025 fand das Informations-Webinar „Medizinalcannabis im Wandel – rechtliche und medizinische Einordnung des aktuellen Gesetzesentwurfs“ des Bundesverbandes pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) statt. Anlass bot der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes, der zentrale Aspekte wie telemedizinische Verschreibungspraxis, Versandhandel und Versorgungssicherheit berührt. Ziel der Veranstaltung war es, eine fundierte juristische und medizinische Einordnung bereitzustellen und Raum für faktenbasierte, sachliche Diskussion zu schaffen. Insgesamt nahmen 27 Personen am Webinar teil, darunter Mitarbeitende des Deutschen Bundestags, Mitgliedsunternehmen des Verbandes sowie Expertinnen und Experten aus Medizin und Recht.

Die Veranstaltung wurde von Antonia Menzel, Vorstandsvorsitzende des BPC und Director Public Affairs der Sanity Group GmbH, eröffnet. Sie betonte die Verantwortung der Branche, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu sichern und gleichzeitig Missbrauchsmöglichkeiten zu verhindern.

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Juristische Einordnung des Gesetzentwurfs

Jakob Sons, Jurist, Geschäftsführer der Cansativa GmbH und Mitglied im BPC-Vorstand, stellte die wesentlichen Inhalte des Regierungsentwurfs vor – insbesondere die geplante Pflicht zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt vor jeder Erstverordnung von Cannabisblüten sowie das vorgesehene Verbot des Versandhandels über Apotheken. Diese Maßnahmen begründet der Gesetzgeber mit einem angeblichen Missbrauchspotenzial, gestiegenen Importzahlen und einem anwachsenden Markt privat verschriebener Cannabisblüten. Sons erläuterte, dass die herangezogenen Zahlen kein eindeutiger Beleg für Missbrauch seien, sondern u.a. auf eine gestiegene medizinische Nachfrage und bessere Versorgungslage durch den Abbau bürokratischer Hürden seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes 2024 zurückzuführen seien. Zudem betonte er, dass lediglich 60% der importierten Ware tatsächlich über Apotheken an Patienten in Deutschland abgegeben werden. Die verbleibenden 40% entfallen auf Reexporte, Lagerbestände, Weiterverarbeitung, Vernichtung und wissenschaftliche Zwecke.

Ein von Hengeler Mueller erstelltes Rechtsgutachten bewertet die Kontaktpflicht und das Versandverbot als unverhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit von Ärzt:innen und Apotheker:innen nach Artikel 12 Grundgesetz. Es fehle sowohl an einer belastbaren Datenbasis als auch an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung. Zudem stünden die verpflichtende Präsenzbehandlung sowie der Ausschluss digitaler Behandlungsformen im Widerspruch zu europäischen Regelungen zur Dienstleistungsfreiheit und der E-Commerce-Richtlinie. Die geplanten Regelungen „bremsen die telemedizinische Behandlung aus, obwohl diese ausdrücklich politisch gewollt ist und der Versorgungssicherheit dient“, so Sons. Gleichzeitig seien Patientinnen und Patienten in ihrer Gesundheitsversorgung eingeschränkt, da der physische Arztkontakt zur Voraussetzung gemacht werde – unabhängig davon, ob medizinisch eine körperliche Untersuchung erforderlich sei. Die geplanten Maßnahmen seien weder verfassungs- noch europarechtlich gerechtfertigt und führten „nicht zu mehr Patientensicherheit, sondern zu weniger Versorgungssicherheit.“

Dr. Susanne Koch, Rechtsanwältin bei Hengeler Mueller, ergänzte, dass der Regierungsentwurf bestehendes Berufs- und Apothekenrecht in weiten Teilen doppelt regle – speziell und ausschließlich für Cannabis. Dabei gebe es bereits heute klare rechtliche Vorgaben, wann Ärztinnen und Ärzte körperlich untersuchen müssen und wann Apotheken Beratung leisten oder sogar eine Abgabe per Versand verweigern müssen. Koch stellte klar: „Ärzte müssen schon heute körperlich untersuchen, wenn es medizinisch erforderlich ist – das ist geltendes Berufsrecht. Dafür braucht es kein eigenes Sonderrecht nur für Cannabis.“

Medizinische Perspektive auf den Gesetzentwurf

Im zweiten Impuls ordnete Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, den Gesetzentwurf medizinisch ein. Sie betonte, dass Medizinalcannabis für viele Patientinnen und Patienten eine etablierte Therapieoption sei, insbesondere bei chronischen Erkrankungen wie Tourette-Syndrom, Schmerzen oder Spastiken.

Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl betonte, dass die Versorgung mit Medizinalcannabis aus medizinischer Sicht seit 2024 nur in einem Punkt leichter geworden ist: „Cannabis-Arzneimittel unterliegen nicht mehr der Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung.“ Dies sei ein wichtiger Schritt zum Bürokratieabbau in Praxen und Apotheken gewesen, habe aber auch dazu geführt, dass Telemedizinplattformen „wie Pilze aus dem Boden geschossen sind“. Gleichzeitig bleibe die Kostenerstattung durch die GKV aufgrund der strikten SGB V Regelung und des jüngsten Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sehr schwierig, da Kostenübernahmen seither tendenziell sogar noch häufiger abgelehnt würden und die Sorge vor Regressen nach Wegfall des Genehmigungsvorbehalts weiter zugenommen habe. Daher seien viele Patientinnen und Patienten gezwungen, ihre Therapie auf Selbstzahlerbasis zu finanzieren. Müller-Vahl stellte klar, dass Ärztinnen und Ärzte bereits heute berufsrechtlich verpflichtet seien, Indikation, Anamnese und Verlauf sorgfältig zu dokumentieren.

Ein zentrales Anliegen von Müller-Vahl war zudem, die medizinische Bedeutung von Cannabisblüten klarzustellen. Sie wandte sich ausdrücklich gegen die zunehmende Tendenz, Blütenpatient:innen pauschal als Freizeitkonsument:innen zu stigmatisieren: „Es ist eine fatale Fehleinschätzung, Cannabisblüten pauschal als ‘schlechtes’ Cannabis abzuwerten. Es gibt viele gute medizinische Gründe, Cannabisblüten zu verordnen.“ Aus ihrer Sicht müsse die Politik klar zwischen medizinischer Versorgung und Freizeitkonsum unterscheiden und dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten nicht erneut in die Selbsttherapie und den Schwarzmarkt gedrängt würden.

Diskussion und Ausblick

In der Diskussion wurde deutlich, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gebe, den Gesetzentwurf verhältnismäßiger auszugestalten – und dass die zentrale Frage bleibt, ob es überhaupt einer zusätzlichen Regelung bedarf, da der bestehende rechtliche Rahmen bereits greife. Alternativen zu einem pauschalen Verbot wären beispielsweise verpflichtende Videosprechstunden, sofern die Ärztin oder der Arzt eine physische Untersuchung nicht für medizinisch erforderlich hält, verpflichtende Dokumentations- und Aufklärungspflichten sowie spezifische Qualifikationsanforderungen oder Schulungen für Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verordnen. Damit könnten Missbrauchsrisiken adressiert werden, ohne in die Therapiefreiheit einzugreifen.

Auf die Frage nach dem Missbrauchspotential, stellte Prof. Müller-Vahl hierzu klar, dass in der klinischen Realität Suchterkrankungen oder eine Abhängigkeit im Rahmen ärztlich begleiteter Cannabistherapien „praktisch keine Rolle“ spielten. Zwar könne Cannabis grundsätzlich eine Abhängigkeit erzeugen, jedoch sei das Risiko „im Vergleich zu vielen anderen Drogen, auch legalen Drogen, gering“. Entscheidend sei, dass unter kontrollierter ärztlicher Begleitung und bestimmungsgemäßem Gebrauch das Risiko extrem niedrig bleibe. Gleichzeitig stellte sie klar,wenn Menschen Cannabis konsumieren möchten, würden sie Wege finden – legal oder illegal. Eine Verschärfung der gesetzlichen Versorgung führe nicht automatisch zu weniger Konsum, sondern erhöhe eher die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene auf den Schwarzmarkt ausweichen.

In Bezug auf mögliche Versorgungsrisiken führte Prof. Müller-Vahl aus, dass Cannabisarzneimittel nach wie vor überwiegend für schwerkranke und chronisch erkrankte Menschen eingesetzt würden, die häufig eingeschränkt mobil seien. Sie warnte eindringlich, dass diese Patientinnen und Patienten bei einem Versandverbot faktisch von der Versorgung ausgeschlossen sein könnten: „Wenn Apotheken im Umkreis nicht an der Cannabisblütenversorgung teilnehmen und der Versand verboten wird, haben wir ein echtes Problem – gerade für Menschen, die keine 100 oder 200 Kilometer zur nächsten Apotheke fahren können.“

Der BPC kündigte an, die Ergebnisse des Webinars in die politische Beratung einzubringen und weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen – unter anderem beim Parlamentarischen Abend des Verbandes am 3. Dezember 2025 in Berlin. Abschließend wurde deutlich: Der Wunsch nach einer rechtssicheren, verhältnismäßigen und patientenorientierten Regulierung eint sowohl Politik als auch Praxis, erfordert jedoch eine klare Trennung zwischen tatsächlichem Missbrauch und notwendiger Versorgung.

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Der Bundesverband Pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e. V. (BPC) ist die Stimme der pharmazeutischen Cannabinoidunternehmen in Deutschland. Der Verband bündelt die Expertise seiner Mitgliedsunternehmen, um Patient:innen in Deutschland die bestmögliche Versorgung mit qualitätsgesichertem medizinischen Cannabis zu ermöglichen. Hierfür setzt sich der Verband aktiv für Forschungsförderung, eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Cannabinoidtherapien, ideale Anbau- und Versorgungsstrukturen von Medizinalcannabis sowie Aufklärung und Weiterbildung ein.