Die Medizinalcannabis-Branche teilt das Ziel, Fehlgebrauch in der Verschreibungspraxis von Medizinalcannabis zu unterbinden, ausdrücklich. Entsprechend unterstützen wir das Anliegen des Bundesgesundheitsministeriums, unseriöse Anbieter zu regulieren.

Dafür braucht es jedoch eine klare Differenzierung zwischen unseriösen Plattformen, die mit anonymem Fragebogen die notwendige ärztliche Konsultation umgehen, und medizinisch verantwortungsvollen Telemedizinplattformen, auf denen approbierte Ärzte auf Basis einer ärztlichen Anamnese per Video oder strukturierter Telekonsultation verschreiben. Der aktuelle Gesetzentwurf zur Änderung des MedCanG differenziert hier nicht und schießt entsprechend über das Ziel hinaus: Er trifft in seiner jetzigen Form die gesamte Versorgungsstruktur – mit Kollateralschäden für Patienten, Ärzte, Apotheken und den verantwortungsvollen Teil der Medizinalcannabis-Branche.

Eine wirksame Änderung des MedCanG muss den Fehlgebrauch konsequent, aber treffsicher und rechtskonform unterbinden und gleichzeitig die Patientenversorgung erhalten. Pauschale Verbote schwächen hingegen das Vertrauen in eine evidenzbasierte, digitale sowie zeitgemäße Gesundheitspolitik, gefährden die Versorgungssicherheit und dürften zudem nicht (Verfassungs- und EU-) rechtskonform sein:

BPC-IMPULSPAPIER HERUNTERLADEN
  • Telemedizin ist etablierte Praxis: Telemedizinische Videokonsultationen sind anerkannter Standard. Erst kürzlich hat der Bewertungsausschuss (BA) die Begrenzungsregelung für Videosprechstunden angepasst, wodurch Ärzte nun bis zu 50 % aller Patienten ausschließlich per Videosprechstunde behandeln können (1). Die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken selbst betonte, dass gerade Ersteinschätzungen sich besonders in telemedizinischer Form anbieten, um Praxen zu entlasten (2). Das zeigt: Telemedizin ist politisch gewollt, sichert Versorgung und ist rechtlich und medizinisch gleichwertig zum Vor-Ort-Gespräch. Ärzte sollten im Rahmen ihrer Therapiehoheit die Entscheidung darüber behalten, welche Form der Behandlung geeignet ist, ebenso wie bei anderen Verschreibungen. Telemedizinische Verschreibungen aus dem EU-Ausland, in denen Medizinalcannabis nicht zugelassen ist, ist zudem bereits untersagt (3).
  • Pauschales Versandverbot schwächt Patientenversorgung: In Deutschland erhalten etwa 800.000 Patienten eine cannabinoidbasierte Therapie. Ein pauschales Versandverbot erschwert den Zugang zu Medizinalcannabis massiv, insbesondere für Schwerkranke und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen (sowohl GKV- als auch Selbstzahler-Patienten), die auf eine kontinuierliche, barrierearme und wohnortnahe Versorgung angewiesen sind. Gerade in ländlichen Regionen steht die Versorgung aufgrund der abnehmenden Ärzte- und Apothekendichte bereits unter Druck – oftmals fehlt hier auch das Wissen um die cannabinoidbasierte Therapiemöglichkeit. Das geplante Versandverbot für Medizinalcannabisblüten stellt zudem eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit vergleichbarem Risiko dar, die weiterhin per Botendienst oder Versand geliefert werden können. Darüber hinaus trifft ein Versandverbot deutsche Apotheken, da der Versand von Medizinalcannabisblüten bereits heute ausschließlich durch heimische Apotheken mit hohem Beratungsaufwand und nicht, wie oftmals fälschlich behauptet, durch Apotheken aus dem EU-Ausland durchgeführt wird. Mehrere hundert kleine und mittelständische Apotheken mit Versandhandelserlaubnis sind durch die geplanten Änderungen in ihrer Existenz bedroht. Mit einem pauschalen Versandverbot wäre die Abgabe sogar restriktiver als die frühere BtMG-Regelung, als der Versand nicht grundsätzlich verboten war.
  • Schaden für Wirtschaft und Innovation: Ein komplettes Verbot von Telemedizin und Versand für Cannabisblüten bremst eine gerade entstehende heimische Branche aus. Diese noch junge Branche aus Produzenten, spezialisierten Apotheken und Dienstleistern würde abrupt zurückgeworfen, mit negativen Folgen für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in Deutschland. Von der wachsenden Medizinalcannabis-Branche sind derzeit 15.000 Arbeitsplätze abhängig; sie generiert 2025 Umsätze in Höhe von mindestens 1 Mrd. EUR inklusive Wertschöpfung für heimische Apotheken. Daraus ergeben sich allein aus der USt/MwSt knapp 200 Mio. EUR Steuern. Des Weiteren werden derzeit von mehreren pharmazeutischen Cannabinoidunternehmen zweistellige Millionenbeträge in Produktionsanlagen in Deutschland investiert.

Lösungsvorschläge

Pauschale Verbote schwächen das Vertrauen in eine digitale, zeitgemäße sowie evidenzbasierte Gesundheitspolitik, gefährden die Versorgungssicherheit und dürften zudem nicht (Verfassungs- und EU-) rechtskonform sein. Die angestrebte Eindämmung des Fehlgebrauchs in der Verschreibungspraxis kann darüber hinaus mit zielgerichteteren, rechtskonformen und zugleich milderen Mitteln erreicht werden.

Zum aktuellen Gesetzentwurf zur Änderung des MedCanG fordern wir:

  1. Persönlicher Kontakt ja, aber Wahrung der Therapiefreiheit: Auch telemedizinischer Erstkontakt ist persönlich, wenn er per Video-Sprechstunde stattfindet. Die Wahl der Behandlungsform, ob telemedizinisch oder vor Ort, als Grundlage für die Rezeptierung muss weiterhin dem Arzt obliegen.
  2. Qualifizierter Versand statt Pauschalverbot: Ein Pauschalverbot für den postalischen Versand ist unverhältnismäßig. Über Apotheken die über eine Versandhandelserlaubnis verfügen (ohnehin nur aus Deutschland möglich) mit dokumentierter Beratung, Ident-/Altersprüfung, Patientenbeipackzettel/Rückfragenachweis und/ oder Pharmakovigilanz-Info sollte er weiterhin möglich bleiben.
  3. Bestehende Rechtsmittel durchsetzen: Stringente Durchsetzung von Berufs-, Heilmittelwerbe-, Arzneimittel- und Apothekenrecht (inkl. Aufsichts- und Werberegeln) mit risikobasierter Priorisierung; bei nachgewiesenen Vollzugslücken sollten entsprechende Behörden gestärkt werden.
  4. Rezept-Verortung & Apotheken-Prüfpfad: Standardisierte Angabe des Arztsitzlandes/ Lizenzstatus auf dem (e)Rezept; verpflichtende Prüf- und Dokumentationsschritte in Apotheken, um EU-Rezepte aus Ländern ohne Medizinalcannabis-Freigabe auszuschließen.

BPC-IMPULSPAPIER HERUNTERLADEN

(1) Bewertungsausschuss (April 2025): Beschluss nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 778. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung)

(2) Bundesministerium für Gesundheit (25.05.2025): Warken: „Die Beitragsspirale kann sich nicht ewig so weiterdrehen.“

(3) EuGH: C-115/24

Der Bundesverband Pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e. V. (BPC) ist die Stimme der pharmazeutischen Cannabinoidunternehmen in Deutschland. Der Verband bündelt die Expertise seiner Mitgliedsunternehmen, um Patient:innen in Deutschland die bestmögliche Versorgung mit qualitätsgesichertem medizinischen Cannabis zu ermöglichen. Hierfür setzt sich der Verband aktiv für Forschungsförderung, eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Cannabinoidtherapien, ideale Anbau- und Versorgungsstrukturen von Medizinalcannabis sowie Aufklärung und Weiterbildung ein.