Am 3. Dezember 2025 lud der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) zum Parlamentarischen Abend in die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft des Deutschen Bundestages in Berlin ein. Unter der Schirmherrschaft von Frau Simone Borchardt, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kamen rund 60 Gäste aus Politik, Selbstverwaltung, Medizin, Fachverbänden und Wirtschaft zusammen, um über die Zukunft der medizinischen Cannabinoidtherapie in Deutschland zu diskutieren. Der Abend fand zu einem denkbar passenden Zeitpunkt statt: Knapp anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des Medizinalcannabisgesetzes befindet sich dieses mitten im parlamentarischen Novellierungsprozess.
Begrüßung und politische Einordnung des Medizinalcannabisgesetzes (MedCanG)
BPC-Vorstandsvorsitzende Antonia Menzel eröffnete die Veranstaltung mit einem klaren Bekenntnis: Das Medizinalcannabisgesetz 2024 habe zwar einen „richtigen Anfang“ markiert, jedoch sei der Weg zu einem funktionierenden, patientenorientierten System noch sehr lang.
Carmen Wegge, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, übernahm das Grußwort der erkrankten Schirmherrin Simone Borchardt. Sie machte deutlich, dass es im Zusammenhang mit dem Medizinalcannabisgesetz weiterhin unterschiedliche Auffassungen gebe, zugleich aber auch Hinweise darauf, dass sich die Versorgungslage seit Inkrafttreten des Gesetzes verbessert habe. Wegge äußerte sich kritisch zum geplanten Versandhandelsverbot, da sie eine eingeschränkte Versorgung insbesondere im ländlichen Raum befürchte. Sie verwies darauf, dass der aktuelle Entwurf den Zugang zu Medizinalcannabis insgesamt erschweren könnte. Zudem sprach sie sich für eine differenzierte Regelung zur Telemedizin aus: Während ein persönlicher Arztkontakt bei Erstverschreibungen sinnvoll sei, müsse dieser bei Folgeverordnungen nicht zwingend erforderlich sein. Ein weiterer Punkt war die Vereinbarkeit des Gesetzes mit europarechtlichen Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit. Darüber hinaus ging Wegge auf die wirtschaftliche Entwicklung der Branche ein, die in den vergangenen Monaten deutlich gewachsen sei und inzwischen rund 15.000 Arbeitsplätze geschaffen habe. Diese Dynamik solle politisch so begleitet werden, dass deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht benachteiligt würden.
Marktanalyse: Ein dynamisch wachsender pharmazeutischer Sektor
Linda Lichtmeß, Research Consultant bei Euromonitor International, lieferte eine fundierte Marktanalyse des global wachsenden Cannabismarktes, in dem Medizinalcannabis mit rund 6 Prozent jährlich expandiert und Deutschland nach den USA den zweitgrößten Markt darstellt. Der deutsche Medizinalcannabis-Markt umfasst demnach ein Volumen von über 2 Milliarden Euro, mit geschätzten 600.000 bis 800.000 Patient:innen. Auf Patientenseite steht vor allem die Schmerzlinderung als Hauptmotiv für eine Behandlung mit Medizinalcannabis im Vordergrund, gefolgt von ärztlicher Empfehlung und dem Wunsch, andere Arzneimittel zu ersetzen, während Stigmatisierung und Unsicherheit über den Zugang weiterhin zentrale Hürden bleiben. Insgesamt kam die Analyse von Euromonitor zu dem Schluss, dass die aktuell geplante Gesetzesänderung zwar eine Abschwächung des Marktwachstums zur Folge haben würde, langfristig aber angesichts des demografischen Wandels mit mehr älteren Menschen und einem wachsenden Bedarf an chronischer Schmerztherapie von einer Stabilisierung und größerer Bedeutung des Medizinalcannabis-Sektors auszugehen sei.
Versorgungsrealität: Herausforderungen zwischen Genehmigung, Regress und Patientenzugang
Dr. med. Thomas Vaterrodt, Facharzt für Neurologie und Palliativmedizin und Gründer des Deutschen Zentrums für Medizinalcannabis (DZMC), lieferte einen praxisnahen Einblick in die Versorgungsrealität. Er machte deutlich, dass es im Genehmigungsverfahren der GKV weiterhin erhebliche Unklarheiten gebe. Obwohl der Genehmigungsvorbehalt im Oktober 2024 für bestimmte Fachrichtungen weggefallen sei, habe sich die Zahl der verordnenden Ärzt:innen eher verringert, was er unter anderem auf eine wachsende Sorge vor möglichen Regressen zurückführte. Nach seinen Beobachtungen liege die Ablehnungsquote von Kostenübernahmeanträgen bei gesetzlichen Krankenkassen weiterhin im Bereich von rund 30 bis 40 Prozent. Anhand konkreter Fallbeispiele schilderte Dr. Vaterrodt, wie Patient:innen trotz klarer medizinischer Indikation teilweise auf Selbstzahlung angewiesen seien oder langwierige Verfahren gegen Krankenkassen durchlaufen müssten. Als mögliche Lösungsansätze nannte er u.a. die Aufhebung des drohenden Regresses, die Einführung der Cannabistherapie als Praxisbesonderheit, den Aufbau einer unabhängigen Informationsplattform mit allen cannabisverordnenden Kassenärzt:innen sowie eine klarere Abgrenzung zwischen Medizinal- und Freizeitkonsum.
Podium am Parlamentarischen Abend v. l. n. r. Antonia Menzel, Dr. Christiane Neubaur, Dirk Heitepriem, Dr. Thomas Vaterrodt (Fotos: Risabh Chadha)
Podiumsdiskussion: Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und gesetzliche Rahmenbedingungen
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. Thomas Vaterrodt (DZMC), Dr. Christiane Neubaur (VCA e.V.) und Dirk Heitepriem (BvCW e.V.) wurden ärztliche, pharmazeutische und wirtschaftliche Aspekte des Medizinalcannabismarkts beleuchtet. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Versorgungssicherheit, Patientenzugang und wirtschaftliche Stabilität unter den geplanten gesetzlichen Änderungen gewährleistet werden können.
Dr. Christiane Neubaur verwies auf die Bedeutung spezialisierter Apotheken mit Versandhandelserlaubnis, insbesondere für die Versorgung im ländlichen Raum. Ein generelles Versandhandelsverbot würde aus ihrer Sicht bestehende Lücken verschärfen. Sie hob zudem hervor, dass Apotheken bei formal korrekten Rezepten zur Belieferung verpflichtet seien und die Entstehung des Behandlungswegs nicht prüfen könnten.
Dr. Vaterrodt betonte, dass telemedizinische Angebote aktuell vor allem im Selbstzahlermarkt genutzt würden und weniger das Problem darstellten als komplexe Verfahren und Unsicherheiten bei der Indikationsprüfung. Bei der Verordnungspraxis wies Dr. Vaterrodt darauf hin, dass eine indikationsgerechte Auswahl von THC- und CBD-Gehalten im Vordergrund stehe und neue Fertigarzneimittel nur im Rahmen ihrer Zulassung eingesetzt werden dürften. Off-Label-Verordnungen blieben für Ärzt:innen mit Regressrisiken verbunden.
Dirk Heitepriem lenkte den Blick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer jungen Branche, die mit hohen Investitionen in Infrastruktur aufgebaut wurde und stark auf langfristige Rechts- und Planungssicherheit angewiesen sei. Vor diesem Hintergrund seien unklare gesetzliche Perspektiven ein erhebliches Investitionshemmnis.
Weitere Diskussionspunkte betrafen Qualitätsstandards und die Eindämmung des Schwarzmarkts. Das Panel war sich einig, dass transparente, regulierte Strukturen hierfür entscheidend seien. In der Publikumsrunde wurde deutlich, dass gut funktionierende Versorgung – etwa in komplexen stationären Behandlungspfaden – vor allem von abgestimmten Prozessen zwischen Kliniken und Praxen abhängt.
Fazit: Wunsch nach verlässlichen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Cannabinoidtherapie
Zum Abschluss sprachen sich alle Panelist:innen für praxistaugliche, differenzierte Lösungen aus – etwa für den Erhalt telemedizinischer Angebote wie Videokonferenzen, für klare Qualitätsstandards sowie für wissenschaftlich begleitete Modellprojekte zur Abgabe von Konsumcannabis. Es wurde die Notwendigkeit unterstrichen, die Kluft zwischen gesetzlicher Intention und Versorgungsrealität zu verringern, da Unsicherheiten – etwa durch Regressängste – die Verordnungspraxis erheblich beeinträchtigten. Zudem plädierten die Teilnehmenden dafür, die laufende Evaluation des Cannabisgesetzes abzuwarten und evidenzbasierte Rahmenbedingungen zu schaffen.
In der Gesamtbetrachtung zeigte die Diskussion, dass die Bedeutung von Medizinalcannabis inzwischen breit anerkannt ist. Zentrale Herausforderungen betreffen weniger die grundsätzliche Akzeptanz, sondern die Ausgestaltung verlässlicher Rahmenbedingungen. Genannt wurden vor allem Patientensicherheit, tragfähige Versorgungswege, Investitionsschutz und hohe Qualität. Die Teilnehmenden sprachen sich dafür aus, gesetzliche Anpassungen maßvoll und evidenzbasiert vorzunehmen, um Versorgung, Arbeitsplätze und langfristige Entwicklungsperspektiven nicht zu gefährden und zugleich den Standort Deutschland im Bereich Cannabinoidtherapien zu stärken.







